Zukunft und Zuckerguss – die Doughnut Economy

 

Hunger auf Zukunft

Dass wir Menschen nicht mehr so weiterwirtschaften können, wie wir es viele Jahrzehnte getan haben, ist – bei Betrachtung von irreparablen Umweltschäden, globaler Finanzkrisen und zunehmender sozialer Ungerechtigkeit – leicht zu erkennen.

Besonders in und nach extremen Erlebnissen, wie auch jetzt, während der Corona-Pandemie, werden die Rufe nach einem Wandel lauter. Eine zentrale Forderung dabei ist eine bessere, d. h. faire und ressourcensensible Form der Wirtschaft. Wie aber soll diese aussehen?

Ein Donut als Lösung?

Wie eine menschliche und nachhaltige Wirtschaft im Rahmen gegebener Grenzen aussehen kann, ist eine der spannendsten Fragen unserer Zeit.

Nicht nur, weil es für eine adäquate Antwort viele komplexe Zusammenhänge zu durchdringen gilt, sondern auch, weil es sowohl eine Änderung unserer jetzigen Wirtschaftsform als auch eine Änderung unserer Lebensweise braucht. Mehr noch, konfliktarmes Zusammenleben heute und unser aller Überleben morgen hängen von der Wandlungsfähigkeit unserer Wirtschafts- und Denkweise ab.

Mehrere Ideen für den Wandel und ein griffiges und leicht zugängliches Modell bietet uns die angesehene britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth an – in Form eines Donuts. Ausgehend von ihrem Paper „A Safe and Just Space for Humanity“ entwickelte sie ein ringförmiges Modell für eine zukunftsfähige Wirtschaft. In dem darauf aufbauenden Buch Doughnut Economics – 7 Ways to Think Like a 21st Century Economist finden sich neben der namensgebenden Grafik auch mehrere Lösungsansätze für die Transformation zu einem maßhaltenden, auf das Menschenwohl zentrierten Wirtschaften. Kernbotschaft ist die Verwirklichung humanitärer Ziele bei Achtung unserer ökologischen Grenzen.

Die gewollte Ungerechtigkeit

Das bisherige Wirtschaftsverständnis – mit seiner Maxime stetigen Wachstums, der Erhöhung des Wohlstandes und seinem Fokus auf das Bruttoinlandsprodukt – hat zu einer Zerstörung unseres Ökosystems und auch zu einer großen Ungleichheit an Lebensbedingungen geführt. Der Preis des Wohlstandes nur weniger Menschen ist das Leid anderer und die Zerstörung unserer aller Lebensgrundlage.

Während die reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung 44 % des globalen Vermögens besitzen, kämpfen gut zwei Drittel der Weltbevölkerung mindestens einen Monat im Jahr mit Wasserknappheit.

Anders formuliert: Während wir aktuell über den Konsumrückgang in Coronazeiten jammern, ist für einen Großteil der Menschen auf dieser Erde sauberes Trinkwasser noch längst keine Selbstverständlichkeit.

Neben dem erwähnten Trinkwasser sind es auch der Zugang zu einer Schulbildung, ein Leben in Sicherheit und einer gesunden Umgebung, Frieden oder politische Mitbestimmung und viele andere Bedingungen, die es braucht, um ein gutes und würdiges Leben zu führen. Damit dieses gute Leben allen Menschen ermöglicht werden kann, müssen wir die Zielsetzung unseres Wirtschaftens verändern.

 
 

Der Mensch im Mittelpunkt

Dieses Ziel wird in Raworths Modell durch den inneren Rand des Donuts dargestellt. In zwölf Aspekten (u. a. Ernährung, Geschlechtergerechtigkeit, Wasser) definiert der Innenring das „soziale Fundament“, die Grenze, die es nicht zu unterschreiten gilt.

Im Mittelpunkt des Modells steht der Mensch. Raworth formuliert diese zusammenhängenden Voraussetzungen für ein würdiges Leben als Mindestanforderungen für unser wirtschaftliches Bestreben.

Die Grenzen des Wachstums

Der äußere Rand des Donuts steht für die Grenzen unserer Wachstumsmöglichkeiten respektive unseres Wirtschaftens. Definiert werden diese durch die lebenserhaltenden Systeme unserer Erde, welche wir nicht überbeanspruchen sollten.

Wie weit wir diese Grenzen bereits überschreiten, beweist der stetig nach vorne rückende World Overshoot Day. Rechnerisch definiert dieser Tag den Moment, ab dem wir mehr natürliche Ressourcen verbrauchen, als im selben Jahr zur Verfügung stehen würden. Dieses Jahr hatte die Weltbevölkerung die Biokapazität der Erde übrigens bereits am 22. August ausgereizt.

Der Himmel ist das Limit

Laut Kate Raworth müssen wir unser Wirtschaften einfach nur an den natürlichen Grenzen unseres Heimatplaneten ausrichten – wenn wir uns nicht selbst vernichten wollen. Was einfach klingt, ist im Detail allerdings etwas vielschichtiger.

Um der Übernutzung und Zerstörung unseres Planeten Einhalt zu gebieten, muss unser Wirtschaftsmodell diese Grenzen als absolut anerkennen.

Im Donut-Modell nennt Kate Raworth neun spezifische Aspekte dieser „ökologischen Decke“. Neben Landumwandlung und der Übersäuerung der Meere findet sich auch Luftverschmutzung oder der Wandel des Klimas unter den Kriterien, die unser (wirtschaftliches) Handeln einrahmen müssen.

Wie schmeckt die Zukunft?

Wie das konkret aussehen kann, beschreibt die Autorin in einer Reihe von pragmatischen und anschlussfähigen Lösungsansätzen.

Neben mehr Grundeigentum für Gemeinschaften, andere Formen des Mitsprache- und Eigentumsrecht für Mitarbeiter oder einem globalen Steuersystem, um multinationale Konzerne in die Pflicht zu nehmen (und Steueroasen zu vernichten), finden sich in dem Buch weitreichende Ansätze.

Besonders der Teil des Finanzkapitalismus sollte danach deutlich gezähmt werden. Mit gezielten Systemeingriffen könnten zum Beispiel riskante Spekulationen oder das Entstehen von Großbanken unrentabel gemacht werden.

Was die Autorin in ihrem Buch als Lösungen anbietet, hat auch in der Realität bereits Spuren hinterlassen: Weltweit haben sich mittlerweile eine Vielzahl von Kommunen und Ländern vom Konzept der Donut-Ökonomie inspirieren lassen. Unter anderem wurde Kate Raworth von der Stadt Amsterdam eingeladen, um die Bestrebungen eines Wirtschaftswandels für die Zeit post Corona zu unterstützen.

Ein leicht verdauliches Modell

Dass sich die Autorin für ihr Modell die besonders ungesunde, fetttriefende und zuckerglänzende Süßspeise als Namenspate ausgesucht hat, irritiert – zumindest aus europäischer Sicht.

Neben dem fragwürdigen Nährwert des Gebäcks gibt es nicht wenige, die in einem Donut auch ein Sinnbild maßloser (nordamerikanischer) Konsumkultur sehen – wenngleich die Ursprünge des runden Ölkuchens auf niederländische Siedler zurückging.

Neben der Kritik am namensgebenden Gebäck bietet das Buch nachvollziehbare Ansätze für das dringend notwendige Umdenken und den Wandel unserer Wirtschaft. Aus kommunikativer Sicht ist es jedoch das Modell selbst, welches einen großen Beitrag für unsere Zukunftsbilder leisten könnte.

Leicht einprägsam und ganz im Geiste moderner Nutzeroberflächen, Business Model-Leinwände und kurzweiliger Erklärfilme bietet das Donut-Modell eine prägnante grafische Entsprechung der Wirtschaftsform der Zukunft. Wer eine Vision beschreibt, darf eben das Bildmaterial nicht vergessen, denn eigensinnige Formen und Namen haften besser in unser aller Gedächtnis.

Bestenfalls werden wir schon bei der nächsten Betrachtung der Bäckereiauslagen wieder an das soziale Fundament würdigen Lebens und die ökologischen Grenzen unserer Welt erinnert – und daran, dringend unsere Denk-, Handlungs- und Wirtschaftsweise umzugestalten, um zu überleben.

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